Volume 1

Lehrbuch der vergleichenden Entwicklungsgeschichte der wirbellosen Thiere / von E. Korschelt und K. Heider.

Date:
1890-1893
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Credit: Lehrbuch der vergleichenden Entwicklungsgeschichte der wirbellosen Thiere / von E. Korschelt und K. Heider. Source: Wellcome Collection.

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    später auftretende Canäle verbunden werden, die erst allmählich zu einem gemeinsamen Canalsystem sich vereinigen. Bei solcher Sachlage ist es kaum möglich, zu allgemeinen Schlüssen zu gelangen, ohne den einzelnen Angaben nach einer oder der anderen Richtung Zwang anzuthun. So viel scheint aber doch aus sämmtlichen Beobachtungen mit einiger Sicherheit hervorzugehen, dass wir in den Spongien einen selbstständigen Stamm der Metazoen vor uns haben, der mit den übrigen Typen nur an seiner Wurzel zusammenhängt. Wir halten an der Ansicht fest, dass die Spongien mit den übrigen Metazoen gemeinsamen Ursprung haben. Wir finden in der Entwicklungsgeschichte der Spongien ein echtes Blastula- und Gastrulastadium, durch welches der Hinweis auf eine den Poriferen und sämmtlichen übrigen Metazoen gemeinsame Stammform gegeben erscheint. Auf diese Gemeinsamkeit des Ursprungs deuten auch Charactere der histologischen Differenzirung (die Ausbildung von Cylinder- und Plattenepithelien, von Bindegewebe und Knorpelgewebe), und diesen Characteren gegenüber erscheint das einzige Moment des Vorkommens kragentragender Geisselzellen des Ento- derms nicht ausreichend, um die Poriferen als selbstständige Gruppe von den Choanoflagellaten abzuleiten und ihnen die verwandtschaftlichen Beziehungen zu den übrigen Metazoen abzusprechen (Sollas No. 15, Bütschli). Dass die Poriferen in keiner näheren Verwandtschaft zu den Cni- dariern (Coelenteraten im engeren Sinne) stehen (Marshall No. 11) scheint aus Allem hervorzugehen. Wir legen auf den Mangel der Nessel- kapseln, als einem rein histologischen Character, weniger Gewicht, als auf Momente der Tectonik. Die Versuche, den Bau der Spongien auf die Grundform des Polypen zurückzuführen, müssen zu Widersprüchen führen. Vor Allem ist hervorzuheben, dass die Auswurfsöffnung des Canalsystems, das sog. Osculum, dem Munde der Coelenteraten nicht homolog ist, ferner dass die Poriferen im Allgemeinen von einer mo- naxonen heteropolen Grundform sich ableiten, bei der es noch nicht zur Ausbildung von Nebenaxen in bestimmter Zahl gekommen ist, während den Cnidariern der vierstrahlig radiäre Typus zu Grunde liegt. (Vgl. F. E. Schulze No. 27, A. Goette No. 6, Heider No. 8.) Als unter- stützende Momente für diese Auffassung dienen: der Mangel beweglicher Körperfortsätze (Tentakel, Fangfäden) und der niedere Grad histo- logischer Differenzirung. Die Poriferen besitzen keine echten Muskelfasern. Die Eigenschaft der Contractilität scheint noch sämmtlichen Zellen in ziemlich gleichem Maasse zuzukommen, und die im Mesoderm mancher Spongien vorhandenen „con- tractilen Faserzellen unterscheiden sich von echten Muskelfasern dadurch, dass in ihnen die contractile Substanz noch nicht als gesonderter Bestand- teil der Zelle zur Abtrennung gekommen ist. Der Mangel eines Nerven- systems ist zwar noch nicht bewiesen, doch scheint auch das Vorhandensein eines solchen nicht sichergestellt, da die von Lendenfeld als Nerven- system der Spongien in Anspruch genommenen Zellgruppen bisher in Hin- sicht dieser Deutung noch zweifelhaft geblieben sind. Betreffs der Entstehung des Canalsystems der Spongien ist auf jene ursprünglichen Formen hinzuweisen, welche sich vor Allem unter den Kalkschwämmen vorfinden und durch deren Vergleich sich aufs Deut- lichste ergiebt, dass das complicirte Canalsystem der Kiesel- und Horn- schwämme sich durch einen fortgesetzten Faltungsprocess der Wand einer sackförmigen, olynthusähnlichen Grundform herausgebildet bat, wobei das