Die psychischen Störungen des Kindesalters...

  • Emminghaus, Hermann, 1845-1904.
Date:
1887
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Credit: Die psychischen Störungen des Kindesalters... Source: Wellcome Collection.

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    nigen des Erwachsenen ist. Die Psychologie, welche er in sich besitzt, ist, auf physiologischer Grundlage ruhend, vollkommen systematisch; sie unterscheidet scharf die einzelnen Eigenschaften und Processe des Seelenlebens und sie hat eine sehr ausgebildete Nomenclatur, welche die allgemeine Symptomatologie der Psychosen mit Recht beherrscht. Um dieses Wissen ist wieder der Irrenarzt dem Kinderarzte voraus. Nicht blos mit der Auffassung der allgemeinen, hervorstehenden Züge des Krankheitsbildes einer Kinderpsychose wird sich der Irrenarzt begnügen, er wird tiefer auf die Analyse des Symptomencomplexes ein- gehen und alle einzelnen Elemente desselben in Massgabe seiner psy- chologischen Kenntnisse genau feststellen wollen. Dabei aber versagt fast allenthalben seine Psychologie und diejenige Nomenclatur, welche deren BegriflFe vertritt. Das Kind ist schon nicht »vollsinnig«, wie der Erwachsene, die Moral, die Vernunft, die letzterem zugesprochen wird, geht ihm ab, und was sehr richtig Wille, freier Wille genannt wird, das kann dem Kinde gar nicht zugesprochen werden. Das Kind hat dagegen positive psychische Eigenschaften, welche diesen Negationen in seiner psy- chischen Gesammtverfassung die Wage halten, die bei den Erwachsenen spurlos verschwunden sind. Die physiologische Psychologie nimmt ge- meinhin gar keine Notiz von diesen kindlichen psychischen Eigenschaf-, ten, da ihr Zuschnitt auf die Vorgänge und Zustände in der »Seele« des Erwachsenen genommen ist, sie besitzt daher auch keine Wortbegriffe, um diese natürlichen Phänomene zu bezeichnen; es mangelt ihr an Aus- drücken für die kleinen Aequivalente, die beim Kinde für die Moral, für die Vernunft, den freien Willen des Erwachsenen vorhanden sind. Wenn aber die physiologisch-psychischen Eigenschaften des Kindes noch nicht mit hinreichender Genauigkeit beschrieben und in Wortbegriffe gefasst sind, wie können da die Elementarerscheinungen der Psychosen dieser Lebensperiode psycliopathologisch scharf zu isoliren und zu bezeichnen sein? Es bedarf eben einer neuen üeberarbeituug des seit mehr als hundert Jahren angesammelten casuistischen Materials über Kinder- psychosen, um endlich eine allgemeine Symptomatologie derselben her- zustellen. Darüber, dass eine solche noch nicht existirt, beginnen Psy- chiater ^) wie Kinderärzte ^) sich neuerdings zu beklagen. Die Psycho- pathologie wird diese Arbeit auf sich nehmen müssen. Der Kinderheil- kunde wird sie dieselbe desshalb nicht zuweisen können, weil sie die Anomalien des Seelenlebens aller Entwickelungsstu- f e n des Menschen zu erforschen hat und von ihr gerade die Trennung 1) Schule, Handbuch der Geisteskranken. I. Aufl. S. 224. — Möller, Arch. f. Psych, u. Nkhtn. Bd. XIII. S 188 ff. 2) Cohn, Archiv f. Kinderheilk. Bd. IV. S. 43. 1*