Medicin und Religion in ihren gegenseitigen Beziehungen : geschichtliche Untersuchungen / von Hugo Magnus.

  • Magnus, Hugo, 1842-1907.
Date:
1902
Catalogue details

Licence: In copyright

Credit: Medicin und Religion in ihren gegenseitigen Beziehungen : geschichtliche Untersuchungen / von Hugo Magnus. Source: Wellcome Collection.

Provider: This material has been provided by The Royal College of Surgeons of England. The original may be consulted at The Royal College of Surgeons of England.

    55/78 (page 45)
    Charakter der Medicin. Weise aufKosten des anderen zu bethätigen bestrebt, muss unbedingt eine schwere Störung des geistigen Lebens erfolgen. Und die charakteristischen Eigentümlichkeiten, welche die verschiedenen Epochen der Culturgeschichte zeigen, sie werden in ihrer typischen Färbung durch die Art und Weise bedingt, in welcher jene drei Factoren zur Geltung gekommen sind. Wenn die geistige Ent- wickelung unseres Geschlechts bisher fast ausschliesslich unter dem überwiegenden Einfluss der Religion und Philosophie sich voll- zogen hat, so hat in den letzten Jahrzehnten sich in diesem Ver- hältnis ein offenkundiger Umschwung bemerkbar gemacht. Die Naturwissenschaften mit der Medicin haben den ihnen gebührenden Platz in dem Dreiklang: Religion, Philosophie, Naturwissenschaften eingenommen, und damit hat sich eine Correctur unserer gesammten Erkenntnis eingestellt, deren wir schon längst bedurften. Die Aufgabe der kommenden Zeit wird es nun sein, dafür zu sorgen, dass der Accord in jenem Dreiklang nicht mehr durch einseitiges Ueberwiegen weder der Naturwissenschaften, noch der anderen beiden Factoren gestört werde. Denn das war der grosse Irrthum des mittelalterlichen Christenthums, dass es meinte, einer selbst- ständigen, frei forschenden Naturwissenschaft und Medicin voll- kommen entrathen und die Philosophie in eine von ihm vor- geschriebene Richtung hineindrängen zu können. Es bedurfte erst einer gewaltigen Gährung der Geister, wie sie mit dem Auftreten des Humanismus anhob, ehe die Naturwissenschaften und Medicin, von den dogmatischen Fesseln der Kirche befreit, eine selbst- ständige wissenschaftliche Richtung einschlagen konnten. Und selbst dann, als die Herrschaft der Kirche in der Medicin sich als unhaltbar erwiesen hatte, bedurfte es noch der energischen Arbeit gai manches ei leuchteten Kopfes, wie des Paracelsus, des Andreas Vesalius, des grossen Pare, des genialen Harvey u. A., ehe die ärztliche Welt einsehen gelernt hatte, dass neben Hippokrates und Dioskorides, neben Galen und Aetius auch die freie eigene Forschung einen Werth habe, einen Werth, be- deutender, als alle Dogmen und spitzfindigen Commentare. Und als diese Erkenntniss schliesslich Gemeingut der ärztlichen Welt ge- worden war, da bedurfte es erst einer unendlichen Arbeit, ehe alle die Schaden, welche unsere Wissenschaft unter dem Jahrhunderte ang ihr von dem Christenthum auferlegten Joch davongetragen , .u heben. Das 17. und 18. Jahrhundert sehen wir eitrigst