Über Ruptur der Gebärmutter und ihre Mechanik : nach klinischen Beobachtungen / von Ludwig Bandl.

  • Bandl, Ludwig, 1842-1892.
Date:
1875
    seitlich ihren Sitz; entstehen dieselben durch den Forceps, so sind neben den seichten, seitlichen Einrissen häufig noch tiefere an anderen Orten vorhanden. Ich sah zweimal tiefe, 1 bis 21/2 Cm. gegen das ost. int. reichende Risse an der Mitte der hinteren Wand und mehrere Male dieselben die ganze Länge des Cervix treffen und auch noch in die inneren Schichten des Uteruskörpers reichen. Ich habe zwei Fälle dieser Art in meine Arbeit aufgenommen, weil diese Verletzungen mit unvollständigen, spontan entstandenen Cervixrupturen verwechselt werden können und sich doch von denselben wesentlich unterscheiden. Der Riss entsteht in allen besprochenen Fällen in den nicht über die Norm ausgedehnten Oervixwänden und meist in den unter dem Niveau des Becken- einganges liegenden Gewebstheilen. Dass mit dem Forceps bei regellosem Anlegen mannigfaltige Läsionen entstehen können und dass, wenn der Zangenlöffel die Cervixwand perforirt (wo vielleicht die Verhältnisse für das Zustandekommen der Ruptur schon da sind), auch die Umgebung in das Bereich der Verletzung gezogen werden und am Sections- tische ein ganz ähnlicher Befund zum Vorscheine kommen kann, wie bei Cervixruptur, mit nur theilweisem Austritte des Kindes, muss ich zugeben; ich habe es aber nie gesehen. Auch bei der Geburt des Kindes in Steisslage kommt es bei Erstgebärenden spontan zu den besprochenen seichten Einrissen. Bei der Extraction entstehen ganz ähnliche seichte und tiefe Einrisse, wenn der Cervix nicht ganz vorbereitet ist; sie sind seicht und ganz gefahrlos, wenn der Cervix ganz ausgedehnt ist und nur das ost. ext. noch Widerstand leistet; sie dringen aber schon höher und tiefer, wenn auch nur 1 Cm. langes Stück Cervix noch erhalten, d. h. nicht ausgedehnt ist. Ich habe einmal ausser der Anstalt nach Extraction an den Füssen, wo ich wegen nachträglicher Blutung gerufen wurde, gesehen, dass sich der Riss in der hinteren Wand bis gegen das ost. int. und auch nach abwärts 1" (2V2 Cm.) weit in die Scheide fortsetzte und dem Peritoneum sehr nahe kam; die Frau genas. Bei placenta praevia, wenn die Extraction eines grös- seren Kindes rasch vollendet wird, entstehen Läsionen, die meist die inneren Schichten des Uterus am ost. int. treffen, sich durch die ganze Länge des Cervix erstrecken und sich oft auch noch
    etwas in die Scheide fortsetzen. Ich sah diess zweimal an der Leiche und einmal an der Lebenden, wo ich bei vier Finger weitem Cervix die Wendung und Extraction eines 6 Pfd. 18 Loth (3675 Gr.) schweren, lebensfrischen Kindes machte. Die Frau genas und man konnte nach drei Wochen eine 1" (2Va Cm.) lange Narbe gegen das obere Ende des Cervixrisses ziehen fühlen. Einrisse, die sich bis gegen das ost. int. erstrecken und sich ähnlich verhalten, wie die besprochenen, habe ich nach drin- gender Wendung bei noch knappem ost. ext. öfter durch die ein- drängende Hand verursachen gefühlt und auch an der Leiche gesehen. Erst unlängst habe ich der Section einer an Eclampsie verstorbenen IL Geb., bei der nach Wendung ein circa 3^2 Pf. (2000 Gr.) schweres Kind extrahirt wurde, beigewohnt. Ich hob und zog, um mich genau von dem Sachverhalte zu überzeugen, den Uterus empor und Hess ein Messer im Niveau des Becken- einganges, so dass dessen Spitze in das Promontorium fiel, durch- stechen. Das ost. int., schön markirt durch die Rokitansky'- sche Vene, blieb 3 Cm. über der Stichöffnung; der 33/4" (10 Cm.) lange Cervix war in seiner linken Wand, vom ost. ext. nach auf- wärts 3" (8 Cm.) weit, eingerissen. Der Riss betraf alle Schichten und grenzte nach aussen an den durch das Zusammenfiiessen der beiden Blätter des lig. lat. überdachten, subperitonealen Raum. Nur das dem Risse nahe liegende, lockere Zellgewebe war etwas blutig suffundirt, das Peritoneum in der Umgebung vollkommen normal und unverletzt. 1. Cervixverletzmig durch die Zange, Craniotomie, Tod. Die I. Gebärende 32jähr. verh. S. W. wurde von einem zwei Stunden entfernten Dorfe in einem höchst desparaten Zustande überbracht und unter Nr. 2771 den 21. August 1871, 7412 Uhr Nachts, 46 Stunden nach dem Blasensprunge aufgenommen. — Der Blasensprung erfolgte den 19. August 1 Uhr Nachts, eine Stunde darnach stellten sich Wehen ein. Den 21. im Verlaufe des Tages soll die Zange zweimal von Aerzten angelegt worden sein und die Frau viel Blut verloren haben. Das Aussehen der Patientin sehr anaemisch, ganz apathisch; nur mühsam antwortet sie auf gestellte Fragen, Puls fadenförmig, schwer zählbar, Haut kühl. Tympanites uteri in den oberen zwei Dritttheilen des bis zum process. xyphoid. reichenden Uterus, von den Kindestheilen durch Palpation nichts zu eruiren, Herztöne nicht hörbar. Die Vulva und Scheide oedematös, der Damm bis zum Sphincter, der im hinteren Wundwinkel blos liegt, eingerissen. Der 4*
    Kopf stand fest im Beckeneingange und hatte eine ausgebreitete Gesehwulst. Der Cervix war rings um den Kopf 1V2" (4 Cm.) breit, an mehreren seit- lichen Stellen seicht eingerissen, zu fühlen, in der hinteren Cervixwand konnte man einen circa 2" (5-3 Cm.) langen Riss, der sich nach aufwärts fortzusetzen schien, bis zu dem am Promotorium stehenden Kopfe verfolgen. — Die Conj. ver. war circa 3" (8 Cm.), das Becken rachitisch, in allen Dimensionen etwas verengt. Ich machte mit Assistenz des jetzigen Docenten Dr. Dähnhardt in Kiel die Perforation und Extraction. — Ich förderte mit dem Cranioclaste mühsam den Kopf zu Tage, der Rumpf folgte nicht, es luxirte die Halswirbel- säule und ich war gezwungen, den Brustkorb zu perforiren und mit dem stumpfen Haken zu exeuteriren. — Ich legte dann den Cranioclast über den Rücken und extrabirte leicht. — Der erwähnte Riss in der hinteren Cervix- wand endigte in der Substanz des Uterus und Hess das Peritoneum unverletzt. Die Placenta folgte einem leichten Zuge an dem Nabelstrange. Um 3/4 12 Uhr war die Frau entbunden. Ich vereinigte nun noch durch acht Knopfnähte den Damm, das Kind wog ohne Gehirn 6 Pfd. (3360 Gr.), war 20»/," (54 Cm.) lang. — Die Frau erwachte nach einigen Minuten aus der Narkose, war sehr zufrieden über ihre Entbindung und klagte über keine Schmerzen. Der Puls wurde aber immer kleiner, jagender, die Kräfte schwanden immer mehr und mehr und nach 24 Stunden erfolgte der Tod. Section: Uterus halbmannskopfgross, von Fäulnissgasen etwas ausge- dehnt, wenig contrahirt, das Peritoneum an der hinteren Wand zunächst dem Cervix stark suffundirt, das 172mannsfaustgrosse Cavum des Uterus von einem frischen, lockeren Blutcoagulum ausgefüllt, die Placentarinsectionsstelle mit dünnen Schichten jauchigen Exsudates überkleidet, Uterussubstanz schlaff, blass, um die Gefässe imbibirt. Der Cervix weich, schlaff, blutig suffundirt, die Vaginalportion vielfach tief eingerissen, in der Mitte der hinteren Wand ein durch den ganzen, etwa 2" (54/2 Cm.) langen Cervix in die innere Schichte des Uterus auf 3'" (6 Mm.) weit eindringender, über das orif. intern, sich fortsetzender Riss, dessen Ränder stark suffundirt. Rechterseits vielfache Auseinanderweichungen der inneren Cervicalschichten. Ovarien schlaff, gekerbt und das betreffende Schwangerschaftskörperchen injicirt, Tuben frei, injicirt. Die Vagina gross, schlaff, mit Blut bedeckt, rechts nahe der Insertion ein 1" (21/2" Cm.) langer klaffender Riss, die linke Seiten- wand vielfach zerquetscht und eingerissen. Diese Risse setzten sich in den Perinealriss fort, der in der Tiefe bis auf die in den äusseren Schichten gleichfalls durchtrennte Muskulatur des Rectums reicht. Das Becken schief, rechterseits etwas enger, das Promontorium stärker in die Beckenhöhle hinein- ragend, das Kreuzbein nach links hin gedreht, die Symph. pubis mit einem V4" hohen Kamm in die Beckenhöhle reichend. Conj. vera 3" 3"' (872 Cm.) Querdurchmesser 4V2" (12 Cm.), rechte Microchor. 2" 10"' (7l/2 Cm.), linke
    2. Cervixverletzung durch die Zange bei Glesichtslage und engem Becken, Genesung. Den 20. Juli 1872 gegen V28 Uhr Abends wurde eine 31jähr. III. Ge- bärende unter J.-Nr. 2230 aufgenommen. Die ersten Weben den 20. Juli um 2 Ubr Früb, der Blasensprung er- folgte den 20. Juli um 3 Ubr Nachmittags. Es wurde ausser der Anstalt von zwei Aerzten die Zange ohne Erfolg angelegt. Der Schädel präsentirte sich in erster Gesichtslage im massig verengten Becken von 3V4" (8V2 Cm.) c. v. Die Calvaria lehnte sich an die linke vordere Beckenwand, die Augenhöhlen- ränder und Nasenwurzel waren nach rechts und hinten zu touchiren. Der Kopf stand mit dem Cervix in der Klemme. Die vordere Muttermundslippe geschwellt, wie ein Segel schlaff in die Vagina hereinragend; rechts und hinten ein bis in die Nähe des inneren Muttermundes reichender und von da aus nach vorne sich fortsetzender Cervixriss. Der Uterus enthielt die Frucht. Keine Foetalherztöne. Nach Craniotomie und Extraction wurde constatirt, dass der Riss das Peritoneum nicht durchdrang. Um 8V4 Uhr war die Frau entbunden. Die Placenta folgte 'U Stunde nach der Geburt spontan. Das Kind wog 5 Pfd. (2800 Gr.) ohne Hirn, war 19" (50 Cm.) lang. Die Frau wurde kaum fünf Stunden nach dem Blasensprunge durch Cranio- tomie entbunden. Die Verletzungen sind liier offenbar durch die innerhalb fünf Stunden zweimaligen Forcepsversuche ausser der Anstalt entstanden. Die Frau ver- liess am zehnten Tage, ohne dass sie einen Tag fieberte, vollkommen wohl die Anstalt. Ruptur des Cervix. Alle diese Läsionen haben nichts mit den rasch tödtlich verlaufenden, vollständigen und unvollständigen Rupturen, bei denen das Kind theilweise oder ganz aus dem Fruchthalter aus- tritt und wobei das Peritoneum meistens in mehr oder weniger grossem Umfange von der Unterlage abgehoben wird, zu thun, sie können aber mit der Ruptur combinirt sein, wenn operative Hilfe geleistet wurde und haben dann nur eine nebensächliche Bedeutung. Die für den Arzt so oft ominösen und für die Frauen meist rasch tödtlichen Rupturen entstehen in sehr vielen Fällen spontan und sie entstehen nach meinen Erfahrungen nur dann, wenn durch Greburtshindernisse, sei es durch enges Becken, durch zu grossen Kindeskopf, durch fehlerhafte Einstellung desselben, oder sei es durch fehlerhafte Fruchtlage verursacht, eine zu grosse, oft kolossale, von mir selbst vor einem Jahre noch nicht geahnte Ausdehnung des Cervix über dem Niveau des Bejkeneinganges
    stattfindet. Die Ruptur tritt ein, wenn das ost. int. handbreit über dem Niveau des Beckeneinganges steht oder erst, wenn es so weit hinaufgerückt ist, dass der Uterus nur mehr wie eine Kappe dem Kinde aufsitzt. So lange diese Situation nicht hergestellt ist, zerreisst sich der Uterus nicht und es kann ihm auch schwer durch operative Eingriffe eine Ruptur beigebracht werden. Ist es zu dieser Situation aber einmal gediehen, dann ist die Scylla und Charybdis da; jeden Augenblick kann der Cervix unter einer heftigen Wehe platzen, durch einen operativen Eingriff, besonders aber leicht durch die Wendung kann der Cervix zerrissen werden und es kann dem besten Geburtshelfer, wenn er diese Verhält- nisse nicht kennt oder berücksichtigt, dieses Unglück passiren. Ich könnte mit Caspar viele Fälle anführen, will mich aber mit zwei Fällen aus der von Grrenser in seinem Buche unter Literatur angeführten Schrift Kormann's a) begnügen, Aveil diese zwei Fälle vollkommen glaubwürdig sind. Ehrlich und an erkennen swerth wird darin zugestanden, dass im Falle I, bei Schulterlage, der kundigen Hand Crede's selber das Unglück passirte. Abnorme Cervixverhältnisse bei räumlichem Missverhältnisse. Dass das ost. int., wenn den in das Becken ein- drängenden Kindestheilen Hindernisse begegnen, oft weit über das Niveau des Beckeneinganges empor- rückt, dabei der Cervix abnorm gedehnt und dadurch das topographische Verhältniss der Muskelsubstanz des Uterus zum Beckeneingange ganz verrückt wird, ist eine noch unbekannte Thatsache. Michaelis2) war, wo er über die regelwidrige Zurückziehung des Muttermundes spricht, diesem Factum sehr nahe, er sprach aber nur von ungewöhnlicher Dehnung der Scheide, welche nur sehr ausnahmsweise stattfindet, wenn sich der Muttermund bei engem Becken zu früh über den Kopf des Kindes zurückzieht. ') Kormann, über die Uterusrupturen in forensischer Beziehimg. Diss. inaug. Leipzig 1864, Fall I, p. 9, II, p. 17 nebst Zeichnungen der Präparate. 2) Michaelis, a. a. 0. §. 232. Von der regelwidrigen Zurückziehung des Muttermundes.